Bericht von Michael Siegel. Alle Bilder in der Galerie
OCR ist die Abkürzung für Obstacle Course Racing (Hindernislauf-Rennen). 2015 habe ich zum ersten Mal an so einem Rennen teilgenommen. Ein Freund kam auf mich zu und meinte: „Du läufst doch gern. Hast du denn nicht mal Lust durch Matsch zu rennen und über Hindernisse zu klettern?“ Gesagt, getan … und ich war auf dem Weg zu meinem ersten OCR. Sofort hatte ich Blut geleckt! Zu Beginn war es für mich nur ein großer Spaß daran teilzunehmen. Im Laufe der Jahre habe ich jedoch immer wieder die gleichen Leute getroffen und dann haben wir uns hier und da für das nächste Rennen verabredet – die Leidenschaft war geweckt.
Wir OCR-Runner sind schon ein besonderer Schlag von Sportlern. Wir laufen, wir kriechen, wir klettern, wir hangeln, wir machen uns dreckig und nass, wir helfen uns an den Hindernissen, wir feuern uns an, wir kämpfen gegen die Strecke, wir haben sehr großen Respekt voreinander, wir bluten gemeinsam und wir feiern uns gemeinsam, wir frieren zusammen und machen uns gemeinsam am Start heiß auf die Strecke – es ist immer wieder ein MEGA-Gefühl an der Startlinie zu stehen – meine Leidenschaft für diese Art der Herausforderung brennt gewaltig!
Aber es ist nicht nur das WIR, es ist auch der Wechsel der Anforderungen auf den unterschiedlichen Strecken. Einmal quer durch den Wald ab von jeglichen Wegen den Berg hinauf und zwischendrin steht ein Hindernis zum Klettern oder Kriechen. Mit nassen Schuhen und Klamotten mehrere Kilometer laufen zu müssen, sowohl in Hitze als auch Kälte. Unwegsames Gelände, Feldwege und harter Straßenbelag wechseln sich binnen eines Kilometers ab und das alles im Lauftempo. Die Veranstalter, die sich immer wieder etwas einfallen lassen wie bspw. durch Autos durchkriechen oder Anwohner, die es mit einem Fest verbinden und ganz besonders anfeuern. Es macht einfach immer wieder Spaß!
2016 habe ich dann an dem härtesten OCR Europas teilgenommen – dem Getting Tough in Rudolstadt/ Thüringen. Der findet jährlich am 1. Advent statt. Den Bericht hierzu findet ihr im Archiv. Nach diesem Lauf habe ich mir geschworen nie wieder daran teilzunehmen. Die Erfahrung war einfach zu extrem! Aber ich habe mich weiterentwickelt. Sowohl die körperliche Leistungsfähigkeit, die Erfahrung mit Wettkämpfen und der Umgang mit schwierigen bzw. extremen Situationen, sowie auch die mentale Stabilität habe ich seitdem weiter verbessert. Das Ganze ist selbstverständlich ein Prozess und kommt nicht von heute auf morgen. Scheitern und Zweifeln gehören immer dazu.
In den Jahren 2017-2019 habe ich dann hier und da an kleineren Veranstaltungen teilgenommen. Darunter die Heraklidenschlacht in Uelzen und dem Iron Race sowohl in Halle als auch im Harz. Der RockManRun (RMR) in der Schwarzenberger Partnergemeinde Wunsiedel war auch dabei. Beim RMR blieb jedoch eine Rechnung offen. Ich war die ganze Zeit auf Platz 3 unterwegs und wurde nie überholt und plötzlich war ein Teilnehmer auf Platz 2, der die ganze Zeit über hinter mir war. Das war hochgradig unsportlich von ihm und hat auch nicht für die Veranstaltung gesprochen. Das saß tief!
Bekannterweise sah es dann von 2020 bis 2022 nicht mehr so gut aus mit meinen OCRs und ich habe das läuferische Vermögen in den Vordergrund gestellt (oder stellen müssen).
Ab 2023 konnten nun aber alle bekannten OCRs wieder stattfinden. Einen Artikel zum 2. Platz beim BHB (BraveHeartBattle) und dem Sieg beim CdL (CrossDeLuxe) in Schneeberg findet ihr auch im Archiv. In der zweiten Jahreshälfte habe ich zum dritten Mal am Vulcano Battle in der Rhön teilgenommen und völlig überraschend den Gesamtsieg geholt.
Wie bei den anderen Rennen war es mein Ziel lediglich mit der vorderen Spitze mitzuhalten und mit etwas Glück aufs Treppchen zu gelangen, aber nicht gleich mit 3 Minuten Vorsprung zu gewinnen. Es war der Wahnsinn! Danach wollte ich meine Rechnung vom RMR begleichen und hatte mich beim RMR angemeldet. Aufgestanden, hingefahren, angetreten, durchgelaufen und wieder völlig überraschend gewonnen. Mit Streckenrekord (soweit mir bekannt).
Nun, ich möchte aber auch dazu sagen, dass beide OCRs nicht die mit der großen Beteiligung sind und viele Favoriten und extreme Athleten daran nicht teilnehmen. Aber die Rechnung habe ich beglichen! Jetzt folgte mein Lieblings-OCR; der LOC (Legend of Cross) bei den Drei Gleichen bei Wandersleben an der A4. Zum vierten Mal trat ich an und mit dem Ziel die TOP10 zu erreichen. Blöderweise habe ich mit zwei Mal verlaufen (und das bei der vierten Teilnahme) und bin im Läuferfeld nach hinten gerutscht. Auf den letzten 500 Metern konnte ich es dann doch noch schaffen und kam auf Platz 9 ins Ziel – Minimalziel erreicht!
Zum Halbjahr 2023 kam dann eine Nachricht in der OCR-Szene auf, die alle schockte. Das Getting Tough wird 2023 zum letzten Mal stattfinden. Die Teilnehmerzahlen waren sehr stark zurückgegangen was im Wesentlichen auf den Ausfall zwischen 2020 & 2022 zurückzuführen ist. Der extreme Aufwand der Veranstalter und die zu geringen Teilnehmerzahlen haben dazu geführt, dass sich der Lauf nicht mehr finanziell vertreten lässt. Nun hat sich die gesamte Szene am 1. Advent zum letzten Mal in Rudolstadt getroffen und ich durfte es mir auch nicht entgehen lassen. Als erstes Ziel für mich war es ins Ziel zu kommen – alias zu überleben. Das habe ich geschafft! Das zweite Ziel war mit bei den TOP100-Männer zu sein, um die schwarze Medaille zu erhalten. Auch das hat funktioniert. Das dritte Ziel in die TOP50-Männer zu kommen, habe ich nicht geschafft, da mich die zahllosen Hindernisse im Zielbereich zu lang aufgehalten haben. Das ist aber nur halb so wild! Es war die erwartet Schlacht gegen Eis, Schnee, Kälte, Wasser und die Hindernisse. Beschreiben kann ich es tatsächlich nicht so wie es sich auch angefühlt hat. Einen Eindruck bekommt ihr jedoch, wenn ihr die Videos auf den verschiedenen Portalen anschaut oder einfach selbst teilnehmt. Es war einfach nur KRASS! Einen kleinen Eindruck möchte ich euch aber doch noch geben. Gleich zu Beginn krochen wir auf der Wiese durch den Schnee und im Anschluss durchquerten wir zwei Wassergräben, die mir bis zur Brust reichten. Erst danach ging es bei -5 °C und nassen Klamotten auf die Laufstrecken (gesamt >23 km mit 500 Höhenmeter). Am Ende der Strecke mussten wir durch das 4°C „warme“ Wasser des Freibads schwimmen und teils auch tauchen.
Ja, und dann noch klettern, kriechen und hangeln. Irgendwann kommt der Punkt an dem nur noch der Wille entscheidet und der Körper irgendwie folgen muss. Jede Faser im Körper schmerzt und schreit: „Lass das und hör auf!“. Am Ende jeglicher Vernunft der Kamerad neben dir, dir hilft weiterzumachen, bis du die Ziellinie erreicht hast und den Schlachtruf herausbrüllst: „I’M A CHAMPION!“. Endlich im Ziel, saß ich dann irgendwann im Auto, mit warmen trockenen Klamotten, Heizung auf hochtouren und habe 1 Stunde lang nur gezittert und mit den Zähnen geklappert. Ich konnte nichts dagegen tun – mein Körper war außer Kontrolle! Es ist äußerst Schade, dass dieses Event nun Geschichte ist. Ich persönlich bin aber auch froh nie wieder darüber nachdenken zu müssen, ob ich teilnehme oder nicht.
Mein Fazit von 2023 zu den OCRs! Ich mache weiter, freue mich schon 2024 und eventuell auf dem ein oder anderen Treppchen stehen zu dürfen – es wäre schön!